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Raphael M. Kleinstein: Zwischen Käfern und Codes

Autorenbild: Severin KönigSeverin König
Stein Keramik, Pigmente 24 x 24 x 10cm 2022

Die Kunst von Raphael M. Kleinstein bewegt sich in einem faszinierenden Spannungsfeld zwischen traditionellem Handwerk, digitaler Technologie und der Inspiration durch die Natur. Seine Werke, die oft minutiös geplante Reliefs und Skulpturen umfassen, entstehen aus einer Symbiose von althergebrachten Techniken und modernster künstlicher Intelligenz. In diesem Interview erzählt er von seinem kreativen Prozess, seinen Inspirationsquellen und den Herausforderungen, die ihn immer wieder neu antreiben.





1. Ihre «Trophäen der Stille» scheinen ein Dialog zwischen Natur, Kunst und künstlicher Intelligenz zu sein. Wie definieren Sie das Gleichgewicht zwischen diesen drei Welten in Ihrer Arbeit?


Mein Weg zum Atelier führt durch ein kleines Stück Wald. Ich könnte auch den direkten Weg durch die Stadt nehmen, aber ich mag diesen Umweg. Oft begegnen mir Käfer oder ich finde ein interessantes Blatt. Mir gefallen die banalen und alltäglichen Gegenständen aus der Natur. Jeder kennt Sie und niemand weiss genau, was er da eigentlich sieht. Meine Skulpturen plane ich minutiös und zeichne, modelliere und male alles von Hand. Nachdem ich meinen ersten Käfer fertiggestellt habe, hat mir etwas gefehlt. Also setzte ich mich hin, nahm mein iPad in die Hand und generierte mit Hilfe von Artificial Intelligence eine passende Landschaft. Anschliessend druckte ich das Bild im Siebdruckverfahren. Die Auseinandersetzung von Handwerk und neuen Technologien empfinde ich als symbiotisch und in einer gewissen Weise als evolutionär.


2. Ihre Reliefs und Skulpturen feiern die Einfachheit und den Stillstand. Wie erreichen Sie es, in einer Welt des ständigen Wandels diese Stille zu visualisieren und greifbar zu machen?


Ehrlich gesagt ist das eine grosse Schwäche von mir. Durch meine neurotische Persönlichkeit habe ich einen ausgesprochen hohen Bedarf nach Einfachheit und Ruhe. Oder anders gesagt, Unordnung treibt mich an oder in den Wahnsinn. Aus diesem Grund arbeite ich so lange an einer Skulptur, bis jede Kurve und jede Schattierung perfekt sitzt.


3. Sie sprechen von einer «Neuen Natürlichkeit», die an die Strenge der Neuen Sachlichkeit erinnert. Wie würden Sie diese Ästhetik für jemanden beschreiben, der Ihre Werke noch nicht gesehen hat?

Stellen Sie sich vor, sie treten in einen Zengarten der Ruhe und Gelassenheit. Kein Lärm, keine Hektik – nur Sie und die Natur in perfekter Harmonie. Was klingt wie aus einer geführten Meditation, ist Ausdruck und Inhalt meiner Arbeit. Mit meiner Gestaltung folge ich der Idee der Einfachheit und Reduktion – alles Überflüssige wird weggelassen, um Raum für das Wesentliche zu schaffen. Dabei geht es mir nicht nur um das Erscheinungsbild, sondern um die innere Haltung.



4. Aber wie vereinbaren Sie den Einsatz von künstlicher Intelligenz mit Ihrer «Neuen Natürlichkeit». Oder anders formuliert: Wie kann etwas, das durch künstliche Intelligenz generiert wurde, noch natürlich sein?


Das ist eine Frage der Wahrnehmung und der Voraussetzung. Gehe ich davon aus, ich sehe eine Fotografie eines Naturfotografen und es stellt sich heraus, das Bild wurde künstlich generiert, werde ich wahrscheinlich enttäuscht. Wenn ich als Künstler die Natur bewusst inszeniere und überhöht darstelle, spielt der Einsatz von künstlicher Intelligenz eine untergeordnete Rolle. Zum Beispiel haben wir uns im Kino an künstlich erzeugte Welten bereits so gut gewöhnt, dass es heute als Qualitätsmerkmal gilt, wenn der Film besonders realistische CGI einsetzt. In der Zukunft können wir den Unterschied von echten und künstlichen Bildern nicht mehr unterscheiden. Wenn wir unseren visuellen Einschätzungen nicht mehr trauen können, wie beurteilen wir dann Echtheit. Wir müssen uns unweigerlich auf eine neue «Wahr-Nehmung» einstellen.



5. Die Inspiration durch Künstler wie Maria Sibylla Merian und Ernst Haeckel zeigt Ihre Affinität zur Wissenschaft und Naturbeobachtung. Welche Rolle spielt Wissenschaft in Ihrer künstlerischen Vision?


Eine grosse Rolle. Mir geht es darum, wie wir die Natur wahrnehmen. Maria Sibylla Merian und Ernst Haeckel offenbarten uns eine Sicht auf die Welt, die die Menschen bis dahin nicht kannten. Die Wissenschaft hilft uns, die Natur besser zu verstehen. Gleichzeitig wirken wir auf sie ein und emanzipieren uns von ihr. Durch Wissen fördern wir also nicht zwangsläufig Nähe. Indigene Völker haben ein höheres Naturbewusstsein, trotz ihrem Wissen, sie setzen es aber anders ein. In meiner Arbeit beschäftige ich mich mit dieser Ambivalenz der modernen Gesellschaft. Ich sehe den Menschen in einer postpubertären Beziehung zur Mutter Natur. Wir wissen, dass eine Kreuzfahrt dem Klima schadet und tun es ungeachtet dessen. Als Folge begleitet uns ständig ein schlechtes Gewissen.



6. Ihre früheren Projekte wie «Terra One» und «Terra Form» haben eine experimentelle Tiefe. Wie hat Ihre Auseinandersetzung mit Materialien wie Pigmenten und Fragmenten Ihren kreativen Prozess geprägt?


Das Projekt «Terra Form» war sehr experimentell. Ich brauchte über zwei Jahre Entwicklungszeit für ein neues Verfahren, Pigmente mit minimaler Zugabe von Bindemitteln zu binden. Das Resultat waren ultra matte Farben, die keine sichtbaren Reflexionen zulassen und die Farbwiedergabe unverfälscht wiedergeben. Das Verfahren habe ich laufend weiterentwickelt und heute male oder drucke ich mit genau diesen Farben.Bei Terra One ging es um die fiktive Mission, einen fremden Planeten zu erforschen. Eigentlich wollte ich das Projekt im Sommer im Flimser Skigebiet durchführen. Das Projekt verzögerte sich aber und es wurde Herbst. Als mein Team und ich auf dem Berg waren, überzog eine dicke Schneeschicht die Landschaft. Weil mein Raumanzug nur aus einem dünnen Neoprenanzug bestand, fror ich fürchterlich. Nach zwei Stunden Dreharbeiten war ich so stark unterkühlt, dass ich ohne Hilfe nicht mehr aus dem Anzug kam. Zuhause stellte mein Kameramann fest, dass sein analoges Filmmaterial durch die Kälte zerstört wurde. Eine Woche später mussten wir nochmals auf den Berg und alles neu drehen. Es war eine einzige Katastrophe. Heute gehe ich nach wie vor gerne Risiken ein, aber ich bevorzuge es, alleine zu arbeiten.
Rüsselkäfer Mixed Media 80 x 96 x 20cm 2024

Das Interview zeigt die facettenreiche Auseinandersetzung von Raphael M. Kleinstein mit

Natur, Wissenschaft und Technologie. Seine Werke hinterfragen unsere Wahrnehmung und öffnen den Blick für neue Perspektiven. Wer mehr über den Künstler und seine Arbeiten erfahren möchte, findet weitere Informationen auf seiner Website: www.raphaelkleinstein.ch

 
 
 

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