Ksenia Tornay Zwischen Linie und Leere – ein Gespräch über Form, Fragment und Freiheit.
- R. Giovanoli
- 17. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Ksenia Tornay arbeitet zwischen Erinnerung und Gegenwart, zwischen Ort und Gefühl. Ihre Bilder zeigen keine Körper, keine klassischen Erzählungen – sondern Zustände. In diesem Gespräch spricht sie über die Rolle von Intuition, über das Scheitern von Trends, über den Wunsch nach Grösse in der Malerei und darüber, warum das Unsichtbare oft mehr erzählt als das Sichtbare.

1. Wenn du deine Kunst in einem Satz zusammenfassen müsstest – welcher wäre das?
Kunsterfahrung durch lebendige Farben.
2. Was war deine jüngste Erkenntnis – entweder über das Malen selbst oder über den Kunstmarkt?
Was ich erkannt habe: Wer Trends hinterherrennt, wird keine bedeutende Kunst schaffen. Echte Kreativität kommt von innen. Du musst das malen, was dich bewegt, was dich wirklich anspricht. Wenn du deine Seele in ein Werk legst – selbst wenn es sehr persönlich oder unkonventionell ist – spüren das die Menschen. Es entsteht eine Energie, eine Wahrhaftigkeit, die sich überträgt. Man kann das Publikum nicht täuschen – es erkennt, ob etwas ehrlich ist oder nicht. Und genau dort liegt die eigentliche Kraft von Kunst.
3. Was ist das grösste Gemälde, das du bisher geschaffen hast – und wie hat das Format deinen Prozess beeinflusst?
Das grösste Gemälde, das ich bisher gemacht habe, ist das erste Bild meiner Serie, inspiriert vom Genfersee – etwa 60 × 80 cm. Ich habe es gemalt, um die Weichheit eines rosafarbenen Sonnenuntergangs über der Landschaft festzuhalten. Nach meinem Umzug von Lausanne nach Sion habe ich den See sehr vermisst. Also habe ich mir einen See gemalt – als Möglichkeit, diese flüchtige Schönheit zu bewahren und jeden Tag zu sehen, auch aus der Ferne. Für etwas so Bedeutendes hätte ein kleines Format nicht gepasst. Es musste groß sein – wie das Gefühl selbst.
4. Hast du Kunst an einer Institution studiert oder autodidaktisch deinen Weg gefunden?
Ich bin größtenteils Autodidaktin. Als Kind habe ich eine Kunstschule besucht, später aber – beeinflusst durch mein Umfeld – einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen. Während der Pandemie begann ich, meine Prioritäten zu hinterfragen. Ich spürte ein starkes Bedürfnis, wieder mit Kunst in Kontakt zu treten und mich kreativ auszudrücken. Ich fing wieder an zu malen, mit einem Bild für jemanden, der mir nahesteht – und das Gefühl dabei war ein Wendepunkt. Ich begriff, dass ich mich der Kunst ganz widmen will. Seitdem ist Kunst Teil meines Alltags. Ich experimentiere mit unterschiedlichen Techniken und Materialien: Öl, Acryl, Pastell, Aquarell und Collage. Ich hatte auch die Gelegenheit, im Freien zu malen – eine Erfahrung, die mich nachhaltig geprägt hat.

5. Deine Arbeiten zeigen oft Landschaft, aber selten Körper – ist das eine bewusste Entscheidung oder eher Intuition?
Ich bin fasziniert von der Idee des Absoluten – einer Schönheit, die nicht greifbar, nicht besitzbar, nicht vollständig fassbar ist. Etwas, das größer ist als wir. Etwas, das über unsere menschliche Erfahrung hinausgeht. Wir sind begrenzt – durch Zeit, durch Wahrnehmung, durch unsere Körper. Aber diese Art von Schönheit existiert jenseits davon. Sie gehört niemandem, aber sie umgibt uns. Mit meinen Bildern versuche ich, dieser Essenz näherzukommen – auch wenn nur für einen Moment. Es geht mir nicht darum, Sichtbares abzubilden, sondern darum, das Unsichtbare spürbar zu machen: das Gefühl beim Blick auf den Himmel, die Stille der Berge, das Gewicht eines Schattens, das Licht, das ohne Form bleibt. Deshalb kommen in meiner Arbeit kaum figürliche Elemente vor. Malen ist für mich ein Dialog mit dem, was größer ist als ich selbst.
Ksenia Tornay malt nicht, um zu erklären. Sie malt, um zu fragen. Ihre Bilder sind keine Antworten, sondern Räume. Wer sie betrachtet, erkennt nicht nur Landschaft – sondern sich selbst, im Moment davor, etwas zu verstehen.
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