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Schriftlicher Austausch mit Selma Mahlknecht über Fö, Literatur und Gesellschaft

Selma Mahlknecht ist Autorin, Dramaturgin und Kulturvermittlerin. In ihren literarischen Arbeiten beschäftigt sie sich mit gesellschaftlichen Fragen, historischen Brüchen und persönlichen Identitäten.

Im Rahmen eines schriftlichen Austauschs mit unserer Plattform hat sie einige Fragen zu ihrem Schreibprozess, ihrem Roman sowie zur Rolle von Literatur zwischen Fiktion und Realität beantwortet.


AUTORIN SELMA MAHLKNECHT // Foto: Naomi Del Simone
AUTORIN SELMA MAHLKNECHT // Foto: Naomi Del Simone


1. Gibt es für dich einen bestimmten Ort, an dem du immer oder besonders gerne schreibst?

 

Solange es eine ruhige Umgebung ist, kann ich prinzipiell überall schreiben, auch in einem Cafè oder in der Bahn. Zum Schreiben begibt man sich ja eigentlich an einen inneren Ort, der aber nicht immer zugänglich ist. Sobald der sich aber öffnet, ist der äußere Ort, an dem man sich befindet, zweitrangig.

 

3. Im Buch fö geht es um einen jungen Mann, der gerne an einem Maskenball aktiv teilnehmen möchte, aber nur als Kellner dort ist. Diese Szene hat mich an eine Parabel erinnert – dabei sein zu wollen, aber nicht zu können oder zu dürfen. Spiegelt sich darin für dich ein soziales Dilemma unserer Gesellschaft? Oder gibt es darin auch einen persönlichen Bezug?

Der Maskenball in Fö reflektiert unser tägliches Rollenspiel. Wir können für Momente auch eine Maske aufsetzen und so tun, als ob wir dazugehören. Aber es ist nur eine Illusion. Bis heute leben wir in einer sehr segregierten und hierarchisch strukturierten Gesellschaft, die viel weniger durchlässig ist, als wir gemeinhin annehmen. Zwischendurch gelingt ein Aufstieg, zwischendurch findet man auch Akzeptanz, aber es ist ein schwieriger Prozess und alles andere als selbstverständlich. Persönlich habe ich das in verschiedenen Lebenssituationen erlebt, familiär, beruflich, auch durch meine Migrationsgeschichte (auch wenn die ja letztlich nur in einem bescheidenen Radius stattgefunden hat, aber schon ein paar Kilometer vom eigenen Herkunftsort entfernt ist man bereits fremd und fängt ganz unten an).

 

 4. Was braucht die Literatur in Zukunft – mehr Fiktion oder mehr Auseinandersetzung mit der Realität?

Jegliche Literatur, egal in welchen noch so fiktiven Welten sie spielt, ist eine Auseinandersetzung mit der Realität. Es ist vielleicht nicht immer sofort ersichtlich. Aber wenn uns Bücher berühren, dann nur deswegen, weil sie uns in unserem innersten Kern betreffen. Das geht nur, wenn das Werk sich aus den Themen seiner Gegenwart speist und ehrlich mit den menschlichen Abgründen auseinandersetzt. Das gilt für Tolkiens Herr der Ringe genauso wie für Dantes Inferno oder Cornelia Funkes Tintenherz.

 

 5. Inwiefern identifizierst du dich mit deiner Literatur? Kann man darin auch etwas von dir selbst entziffern – oder trennst du dein Schreiben klar von deiner Person?

Wer mich kennt, findet in meinen Büchern natürlich Spuren von mir. Und selbstverständlich kann ich nur über Dinge schreiben, die mir selbst nahegehen – ansonsten müsste ich nur mit Projektionen arbeiten, die immer gefährlich sind. Aber in jedem Buch steckt auch sehr viel Recherche. Für Fö, aber auch für meinen neuen Roman Schaukler habe ich neben historischer Fachliteratur auch sehr viele Zeitzeuginnen und Experten konsultiert, die mit mir ihre Einsichten aus Forschung und Lebenserfahrung geteilt haben. Erst durch diese akribische Arbeit kann das Buch weit über meine Person hinausgehen. Letzten Endes ist das der Anspruch, den ich an mein Schreiben stelle.

Selma Mahlknechts Literatur bewegt sich zwischen persönlicher Erfahrung und historischer Recherche, zwischen präziser Beobachtung und empathischer Tiefe. Mit hat sie ein Buch geschrieben, das soziale Masken entlarvt – und mit Schaukler führt sie diese Auseinandersetzung fort, diesmal im historischen Südtirol.

In ihrem zweiten historischen Roman erzählt sie von hundert Jahren europäischer Umbrüche – von Faschismus, Krieg und Aufbruch – und davon, wie sich große Geschichte in kleinen Lebensgeschichten spiegelt.



Wer die Autorin live erleben möchte, hat dazu am Montag, 7. April 2025 um 18:00 Uhr in der Kantonsbibliothek Graubünden in Chur die Gelegenheit.Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung wird erbeten:📩 info@kbg.gr.ch📞 081 257 28 28

 

 

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